Harley-Davidson Street Glide ST: luxuriöser Powerglider

Wer auf eine Street Glide aufsitzt, erblickt als erstes das mächtige Cockpit mit imposanter Soundanlage und Touchscreen-Bedienung. Vier analoge Instrumente informieren über Geschwindigkeit, Anzahl Umdrehungen, Tankfüllung und Ladezustand der Batterie. Über den Wählknopf auf der linken Seite können weitere Informationen digital abgerufen werden. Der Eindruck ist einfach mächtig und das ist es auch – hier wird nicht geknausert, hier wird geklotzt. Bei vielen Harley-Modellen wird mit digitalem Miniscreen gearbeitet, bei dem man die gewünschten Angaben häufig genug suchen muss, doch das ist hier nicht der Fall, alles bei der Street Glide ist gross und komfortabel. Und das betrifft nicht nur das Cockpit, sondern auch den Rest des Bikes. Wo normalerweise Fussrasten angebracht sind, befinden sich grosszügige Trittbretter. Auch die Kupplung und die Fussbremse sind gross und anatomisch perfekt angebracht.

Big Bike, big Boy

Doch die Harley Street Glide ist nichts für kleine Menschen. Gerade der flach angewinkelte Ständer benötigt eine gewisse Beinlänge, will man ihn mit dem Fuss locker lösen. Menschen mit einer Körpergrösse von 1.80 m und grösser sind hier anatomisch im Vorteil. Auch könnten die Windturbulenzen am Kopf besser sein als bei einem kleineren Fahrer. Ich mit meinen rund 1.70 m hatte die Turbulenzen um den Helm zu Beginn des Tests unangenehm gespürt. Offen gestanden, gewöhnt man sich schnell daran, aber ich habe das schon besser erlebt. Erstaunt hat mich das deswegen, da ich wegen der grossen Verschalung um den Lenker herum dachte, dass die Turbulenzen viel geringer sein würden. Harley-Davidson nennt das „lenkerfeste Verkleidung mit Splitstream-Luftkanal zur Reduzierung von Turbulenzen am Kopf“. Alles andere ist für alle Fahrer gemacht.

High and higher

Eigentlich sprechen die 71 cm Sitzhöhe nicht für ein hohes Bike, obwohl Harley von einer erhöhten Sitzposition spricht. Tatsächlich fühlt es sich aber hoch an, weil man eben auch aufrecht sitzt, ähnlich wie bei einer Reiseenduro. Zudem vermute ich, dass das Gewicht der vorderen Verschalung und der grossen Seitenkoffer dazu führt, dass der Schwerpunkt nach oben wandert. Das hat zur Folge, dass sich das Bike für cruisererprobte Fahrer etwas wackelig anfühlt. Tiefe Cruiser fühlen sich immer schwer und dafür stabil an. Sie kleben geradezu an der Strasse. Dieses Gefühl hat man bei der Street Glide nicht. Viel eher muss man sich an die aufrechte Sitzposition gewöhnen, wenn man es anders gewohnt ist, und die Balance zur optimalen Laufruhe finden. Diese Balancegefühl rührt auch von den „schmalen“ Reifen her. Die Street Glide ist hinten mit einem 180 mm breiten Reifen ausgestattet. Tiefe Cruiser wie z.B. das Modell Breakout des amerikanischen Motorradherstellers sind mit 240 mm breiten Reifen ausgestattet und verfügen über einen tiefen Schwerpunkt. Diesen Unterschied bekommt ein Cruiserfahrer zu Beginn zu spüren.

Hightech ohne Ende

Ich persönlich bin kein Biker, der auf Hightech beim Motorrad steht, wenn es um Komfort und Luxus gehen soll. Die Soundanlage, die einen super Sound produziert, erinnert mich an Rolls Royce auf zwei Rädern. Zudem wurde ich dahingehend instruiert, dass ich zuerst eine App runterladen müsste und mich registrieren, um das per Touchscreen gesteuerte Infotainment-Paket voll auszukosten. Das war mir für die kurze Testdauer dann doch etwas zu umständlich, weshalb ich darauf verzichtet habe. Aber an anderer Stelle erlebt man denselben Luxus modernster Technologie, wo man ihn eigentlich nicht erwarten würde. Geht der Tank zur Neige, leuchtet nicht einfach ein primitives Tanksäulen-Zeichen auf, nein, das kann man hier besser. Über das Touchscreen erhält man automatisch die Nachricht, dass man den Tank füllen müsste und man wird gefragt, ob das System die nächstgelegenen Tankstellen aufrufen soll. Wenn man dies bejaht, erhält man eine Liste von Tankstellen, zu denen man sich per digitaler Karte und Routenplaner automatisch führen lassen kann. Sagenhaft modern. Das ist echter Luxus und ein echt praktischer Nutzen.

Gemäss den Angaben von Harley schlummert aber auch unter der Haube jede Menge modernster Technologie: Die Rede ist von „kurvenoptimierten Fahrerassistenzsystemen“ wie z.B. kurvenoptimierten Verbundbremsen, kurvenoptimiertem ABS, kurvenoptimierter Antriebsschlupfregelung mit Modi, Schleppmomentregelung, Berganfahrhilfe und Reifendruck-Überwachungssystem.

Power und Komfort

Die Harley-Davidson Street Glide ST verfügt über einen Milwaukee-Eight^™ 117-Motor mit 1923 Kubik, 104 PS und 168 Nm, den man mit ordentlich fettem Sound kraftvoll zu spüren bekommt. Überholmanöver sind eigentlich keine grosse Sache, sondern machen Spass, schliesslich hat man stets Reserven. Auch zeigt sich das Bike sehr wendig und perfekt ausbalanciert. Beeindruckt haben mich zudem die wirklich voluminösen Seitenkoffer, die einfach zu öffnen und zu verriegeln sind und die erstaunlich viel Platz bieten. Das bedeutet „Einkaufen leicht gemacht“ im Alltag. Wer sich mehr wünscht, bekommt mehr. Mit dem Long-Haul Paket und passendem Gepäcksystem hat man bald auch den passenden hinteren Koffer auf dem Gepäckträger aufgeschnallt und kann in die Ferien fahren. Das System ist also perfekt ausbaubar.

Das luxuriöse Bike mit erhabener Sitzposition, Traum-Cockpit, Wahnsinns-Sound und endloser Komfort- und Sicherheits-Technologie kostet auch etwas mehr als übliche Harley-Cruiser. Ab CHF 34’750.00 im Vivid Black-Look geht es los, Farben, kundenspezifische Farbe und zusätzliches Long-Haul Paket mit Zusatzgepäck kosten einen weiteren 4-stelligen Betrag. Aber wer einen Rolls Royce will, erwartet auch nicht einen Preis wie für einen einfachen VW. Der Preis ist angesichts des Fahrerluxus absolut gerechtfertigt. Ob die Maschine zu einem passt, entscheidet man am besten nach einer Testfahrt beim Händler eurer Wahl.